2. August 2011

Roussillon. Wir begehen den Ramadan 2011

Meine Provinzzeitung L'Indépendant kriegt sich kaum ein vor Begeisterung: Am 1. August werden die Leser eingestimmt auf die folgenden 32 Tage: Le Ramadan débute aujourd'hui pour les musulmans de France. Der Ramadan beginnt heute für die Muslime Frankreichs. Ab 4:30 Uhr, beginne die Zeit der Härte für die Muslime, die an Zahl die zweitstärkste Religionsgemeinschaft "in diesem laizistischen Land" stellten, nach den Katholiken. Um 21:30 Uhr dürfe wieder gegessen und getrunken werden. Auch das Rauchen und sexuelle Aktivitäten seien in der Zeit verboten. Es folgen weitere Belehrungen der nichtmuslimischen Leser über den Islam und seinen Ramadan, gefolgt von geschönten Zahlen von Ifop, Ined und INSEE über die Anzahl der Muslime in Frankreich:

"La France compte 2,1 millions de 'musulmans déclarés' de 18 à 50 ans, selon une enquête récente de l'Institut national des études démographiques (Ined) et l'Institut national de la statistique et des études économiques (Insee). L'Ifop évalue leur proportion à 5,8% de la population française, soit 3,5 millions de personnes. Les chiffres qui circulent habituellement évaluent entre 5 et 6 millions le nombre de musulmans alors que la France interdit les statistiques religieuses ou ethniques."

Frankreich zählt gemäß einer neueren Erhebung des Nationalen Instituts für Demographie (Ined) und des Nationalen Instituts für Statistik und Wirtschaft (INSEE) 2,1 Millionen 'erklärter Muslime' im Alter von 18 bis 50 Jahren. Ifop schätzt ihren prozentualen Anteil auf 5,8 Prozent der französischen [sic!] Bevölkerung, das sind 3,5 Millionen Menschen. Die Zahlen, die gewöhnlich die Runde machen, schätzen die Muslime auf zwischen 5 und 6 Millionen, während Frankreich religiöse oder ethnische Statistiken verbietet.

Der Trick des Zahlenwerkes ist, daß Muslime von Geburt bis zum Alter von 18 Jahren sowie die älter als 50-jährigen Muslime aus der Aufstellung herausgenommen werden, wissend, daß die Gruppe der Kinder und Jugendlichen, auch "les jeunes" genannt, größer ist als die der Altersklasse der 18 bis 50-jährigen + der älter als 50-jährigen zusammengenommen. Die Bürger Frankreichs werden mit geschönten Zahlen bedient, belogen und betrogen. Es versteht sich von selbst, daß auch unsere Provinzzeitung L'Indépendant nicht zurücksteht.

Seit gestern ist Ramadan, was einen Anreißer samt großem Foto auf dem Titelblatt wert ist. Ein halbseitiger Artikel auf Seite 2 über die Muslime des Roussillon sowie ein weiterer auf der Seite für die nationalen Nachrichten folgen. An die 10 000 Muslime müßten ob der Länge der Tage 17 Stunden fasten, bedauert der Autor Julien Maron, Abiturient des Jahrgangs 2004, laut Facebook-Eintrag aus der Umgebung von Paris, Redakteur des Blogs Menly "For Men Only" und ins Metier des Propagandisten abgestiegen; er selbst behauptet von sich, Journalist zu sein. Wahrscheinlich macht er, wenn er nicht gerade einen von der Wirtschaft finanzierten Artikel über Dynamische Isolierung durch Somfy schreibt, Urlaub im Roussillon und verdient sich ein Zubrot.

Sein Artikel Début du Ramadan pour près de 10 000 habitants du département. Ramadan-Beginn für etwa 10 000 Einwohner des Departments [Roussillon] schafft es im Internet nicht auf die Startseite des Indépendant, die Leser könnten ob ihrer eigenen Erfahrungen doch ins Grübeln kommen und nachsehen, wieviele Muslime das denn tatsächlich sind in den Pyrénées-Orientales, den Ostpyrenäen.

Nimmt man nur die geschönten Zahlen des Ifop für die Ostpyrenäen, genannt Roussillon, kann man den Artikel von Julien Maron in die Tonne treten: "L'institut Ifop profite du ramadan 2011 pour communiquer les résultats d'une étude sur la présence de l'islam en territoire français. Les Pyrénées-Orientales comptent une fourchette de 3,8% à 5,7% de musulmans, dont la fréquentation des mosquées et la consommation de viande halal sont en progression." Das Institut Ifop nimmt den Ramadan 2011 zum Anlaß, die Ergebnisse einer Studie über die Anwesenheit des Islam in Frankreich zu veröffentlichen. Die Ostpyrenäen zählen zwischen 3,8 Prozent und 5,7 Prozent Muslime, deren Besuch der Moscheen und des Verzehrs von Halal-Fleisch im Anstieg begriffen sind.

Die Rechnung ist einfach. Unter im Jahr 2010 gezählten etwas mehr als 467 000 Einwohnern des Roussillon wären vier Prozent 18 680, und fünf Prozent wären 23 350 Personen.

Selbst 441 000, die Zahl vom 1. Januar 2008, als Grundlage genommen, käme Julien Maron, wenn er sich nicht als Beschöniger, sondern als ehrbarer Journalist verstünde, auf mindestens 17 640 Muslime.

Die Site La clau, die den Islam für ein Instrument im "Konzert der Spiritualität" hält, meint, er erreiche in Katalonien einen bemerkenswerten, wenn auch ungenau festgestellten Anteil. 71 Prozent der Muslime folgten ab 2001 bis heute den Regeln des Ramadan, während es 1989 noch 60 Prozent gewesen seien. Das wären bei ca. 20 000 Muslimen immer noch 14 000 und nicht etwa 10 000 Einwohner, "près de 10 000 habitants".

Über die Anzahl der Muslime im Department Pyrénées-Orientales weiß La clau: De 18.000 à 27.000 musulmans en Pays Catalan. Zwischen 18 000 und 27 000 Muslime in Katalonien, wobei hier Nordkatalonien gemeint ist. In Frankreich insgesamt lebten 5,8 Prozent sich selbst als Muslime deklarierende Menschen, 61 Prozent von ihnen wären gegen das Recht auf Abtreibung, während 77 Prozent Homosexualität ablehnten. Die Daten der Ifop-Studie für die katholische Wochenzeitschrift La Croix werden veröffentlicht, obgleich solche Erhebungen in Frankreich verboten sind. Geschmückt wird der Artikel von La clau mit einer Person (Frau?) im Niqab, bei uns in Perpignan, auf dem Quai Sadi Carnot, also direkt vor den Gebäuden des Conseil Général, der Departmentsverwaltung, Foto anbei. "Et pas verbalisée quai sadi carnot. Je croyais que c'était une infraction. décidément la justice n'est pas égale pour tous." Und nicht gebührenpflichtig verwarnt am Quai Sadi Carnot. Ich dachte, das wäre ein Gesetzesverstoß. Also wirklich, das Recht ist nicht gleich für alle, meint Kommentator GI.

Was das Zahlenwerk angeht, so informiert die andere Provinzzeitung, der Midi Libre, am 1. August 2011, daß die meisten Muslime nicht im Roussillon leben, sondern im Hérault und im Gard, zwei weiteren der fünf Departments des Languedoc-Roussillon: Les musulmans sont surtout implantés dans l'Hérault et le Gard. Dort machten sie 5,8 Prozent bis 7,8 Prozent aus, zitiert Midi Libre dieselbe Ifop-Studie. Das wären für das Department Hérault mit etwas mehr als einer Million Einwohnern bei sechs Prozent 60 000 Muslime, für Gard mit ca. 700 000 Einwohnern 42 000 Muslime.

Es ist schon selbstverständlich, daß weder L'Indépendant noch Midi Libre absolute Zahlen nennen, sondern sich mit Prozentangaben begnügen. Die sehen niedlich aus: 5,8% bis 7,8%, wenig, unter zehn Prozent, nicht der Rede wert. Was sonst noch in der 34-seitigen Ifop-Studie erfaßt ist, davon werden die Leser mit Sicherheit nichts vernehmen, die im Ramadan gereizten Muslime könnten einmal mehr anfangen zu randalieren:

A - Géographie et démographie de l’Islam de France p. 3
B - La pratique religieuse parmi les personnes issues d’une famille d’origine musulmane p. 6
C - La consommation halal p. 15
D - Focus sur les femmes musulmanes p. 26
E - Orientation politique des musulmans de France p. 30

A - Verbreitung und Bevölkerungsentwicklung des Islam in Frankreich
B - Die religiöse Praxis unter den Mitgliedern einer Familie muslimischer Herkunft
C - Halal-Verzehr
D - Blick auf die muslimischen Frauen
E - Politische Ausrichtung der Muslime Frankreichs

Soviel sei verraten: Staatspräsident Nicolas Sarkozy ist sehr unpopulär, was sich noch verschlimmert hat, als die Debatte über die "nationale Identität" losgetreten worden ist. 16 Prozent der Muslime sind heute für ihn, Franzosen insgesamt: 29 Prozent. Man darf auch einen kleinen Blick darauf werfen, wie es zu Zeiten des Jacques Chirac ist: Mehr als doppelt soviele Muslime sind für die Regierungspolitik, 39 Prozent, Franzosen insgesamt 60 Prozent. Jacques Chirac, der in islamischen Staaten beliebteste Politiker, schafft es im eigenen Land nicht, mehr als 39 Prozent der Muslime zu überzeugen.

Solange die Muslime keine eigenen Parteien gründen - außer vom in Straßburg angesiedelten Parti des musulmans de France des Mohammed Annacer Latrèche, "einer Partei der Zukunft", habe ich von keiner weiteren gelesen -, solange sind die Muslime mehrheitlich eine sichere Bank für die Linksparteien, vor allem für die Umweltpartei/Die Grünen und ihre Palästina-Aktivisten und in bescheidenerem Umfang für den Parti Socialiste. Martine Aubry könnte gern noch etwas werben für die Position ihres Ehemannes Jean-Louis Brochen, den avocat des islamistes, den Anwalt Halal.

Jetzt aber begehen wir erst einmal im Roussillon, in den Pyrénées-Orientales, in Nordkatalonien, in meinem Department, mit einigen Tausend Muslimen den Ramadan, fasten 17 Stunden und machen dann durch bis morgen früh und singen Bums valdera.