1. März 2012

Friedrich-Ebert-Stiftung. Deutsche Nahostpolitik aus Ostjerusalem


In neun Sprachen bietet das Project Syndicate am 22. Februar 2012 deutsche Nahostpolitik. Bis in den Figaro schafft sie es am 1. März 2012. Es geht dem Direktor des Ostjerusalemer "Büros in den palästinensischen Gebieten" der SPD-nahen FES Dr. Michael Bröning in seinem vierten Artikel für das Project Syndicate um die heutige Position der Hamas, der Zweigstelle der Muslimbruderschaft in Gaza. Zielgruppengerecht kommt die Hamas im englischen Original wie John Le Carrés Spion aus der Kälte, französisch zurück von weit her, spanisch und portugiesisch zurück aus der Kälte, deutsch tritt sie aus der Isolation, tschechisch erwacht sie aus derselben, russisch fährt sie nach Hause zurück, arabisch wird sie ans Licht gebracht, und chinesisch gibt mein PC nix her, aber um angebliche Grenzen von 1967 statt um Waffenstillstandslinen geht es auch dort.

Um die Spannung nicht ins Unerträgliche anwachsen zu lassen, schon einmal soviel: Der Autor läßt nichts aus. Der Bericht kommt direkt aus Gaza-Stadt, und selbstverständlich werden die nicht hinterfragten Standardbegriffe "revolutionäre Veränderung", "moderate Islamisten", immerhin apostrophiert als "Kräfte des politischen Islam" ins Rennen geschickt. Bis hierher ist schon einmal gewährleistet, daß Islam und "Islamismus" zweierlei ist und bleibt. Das Grundproblem Islam wird ausgeklammert, und auf geht's, auf diesen unwirklichen Voraussetzungen im islamischen Machtgerangel einen Platz für die Hamas ausfindig zu machen. Wenn schon die Fatah eine Schwesterpartei der europäischen Sozialisten ist, wird noch einiges zu tun sein, auch die Hamas in die Sozialistische Internationale zu holen: Hoch die internationale Solidarität!

Der Vertreter der FES entdeckt durch das "Versöhnungsabkommen" zwischen Fatah und Hamas ganz neue Möglichkeiten für einen Friedensprozeß. Er sieht in dem Besuch des Hamas-Ministerpräsidenten Ismail Haniyeh in Tunis, Kairo und Istanbul nicht etwa einen Schritt der bislang vom schiitischen Iran und vom schiitisch-alawitischen Syrien finanzierten Hamas auf ihre von Katar alimentierten sunnitischen Muslimbrüder zu, sondern einen Ausbruch aus der Isolation.

Wo war der FES-Vertreter, als die Mavi Marmara im Rahmen der ersten Gaza-Flottille in See stach, als die Türkei in der Tradition ihrer osmanischen Vergangenheit sich des Streifens bemächtigt hat? Sein Ostjerusalemer Büro "in den palästinensischen Gebieten" [sic!] leitet er seit März 2009. Ende Dezember 2008 ist der Funktionär der Insan Hak ve Hürriyetleri Insani Yardim Vakfi (IHH) und Held von Gaza, der Beauftragte der türkischen Regierung Muhammad Kaya (schiitisch-iranische Schreibweise) alias Mehmet Kaya (sunnitisch-türkische Schreibweise), in Gaza tätig und dort zum inoffiziellen Botschafter der Türkei in Gaza aufgestiegen. Einzelheiten können in der Rezension zu Thomas Maul: Sex, Djihad und Despotie nachgelesen werden. Soweit zur Isolation der Hamas.

Der Rafah-Übergang von Ägypten nach Gaza ist, wenn auch mit Unterbrechungen, bereits seit dem Sommer 2011 geöffnet, das Wirtschaftsleben in Gaza boomt völlig unabhängig von kompromißloser oder -bereiter Haltung gegenüber Israel. Dr. Michael Bröning stellt es so dar, als wenn dem Ismail Haniyeh seine kompromißlose Haltung bislang geschadet hätte. Er äußert aber nichts anderes als das, was die Verfassung der Hamas von ihm verlangt, er ist von den Arabern in Gaza demokratisch dafür gewählt worden, an der Zerstörung Israels zu wirken. Friedensverhandlungen werden gemäß Artikel 13 der Verfassung von allen Mitgliedern der Hamas für sinnlos gehalten, ob sie's nun täglich herausschreien oder aus taktischen Gründen für sich behalten. Alle Mitglieder der Hamas und auch die der Fatah wollen die Vernichtung Israels, sie äußern es in Worten und Taten seit Jahrzehnten immer wieder, aufgerufen, sie darin zu unterstützen, sind alle Muslime der arabischen und islamischen Staaten sowie die Muslime weltweit.

Was den Palästinensischen Islamischen Jihad (PIJ) angeht, so ist der von Dr. Fatih Shiqaqi 1979 eigens dazu gegründet worden, iranische Petrodollars einzuwerben. Er hat 1979 das sich für den PIJ bar auszahlende Geschick, die Taten des Ayatollah Ruhollah Khomeini zu preisen, dem er sein Pamphlet Khomeini: The Islamic Solution and the Alternative widmet. Darin unterstützt er die Ansicht Khomeinis, daß die Sunna und die Schia zu vereinen seien. Das ist für die große Mehrheit der Sunniten ein Sakrileg. Shiqaqi preist Ayatollah Khomeini dafür, daß er der erste muslimische Führer sei, der Palästina einen eigenen Platz in der islamischen Ideologie zubillige.

Auch das sind taktische Erwägungen, die bei einer durchgängigen Machtübernahme der Sunniten in den arabischen Staaten schnell erledigt werden. Eine Fusion der Hamas mit dem PIJ liefe auf die weitere Entmachtung des schiitischen Einflusses in Gaza hinaus - und seit wann schießen nur die Terroristen des PIJ Raketen auf Israel? Seit der Zeit, da die deutsche Politik Verhandlungen mit den Terroristen von der Hamas in Erwägung zieht?

Dr. Michael Bröning liefert weiterhin eine phantasievolle Interpretation der Besuche des Chefs des Politbüros der Hamas Khaled Mashaal in Jordanien und über die Streitigkeiten innerhalb der Terrororganisation. Er dichtet ihnen einen "grundsätzlichen Konflikt über den Charakter der Hamas" an, stattdessen geht es um Taktik gegenüber den ehemaligen und zukünftigen Herren über Gaza. Wer wie Khaled Mashaal im Glashaus sitzt, der schmeißt tunlichst nicht mit Steinen, für einen Umzug des Politbüros von Damaskus nach Kairo oder Katar ruft man nicht einfach wie Christian Wulff die Berliner Umzugsfirma Zapf an. Zwar sind die meisten Waffen schon über die von der UNIFIL nicht kontrollierte Grenze Syriens im Süden des Libanon, aber die Logistik der politischen Loslösung aus dem noch schiitisch-alawitischen Syrien will durchdacht sein. Wenn die sunnitischen Muslimbrüder dort die Macht übernehmen, ist Damaskus dennoch nicht unbedingt der beste Platz für ihre Zweigstelle, denn mit einem längeren Bürgerkrieg ist zu rechnen. Kairo als Sitz des Hauptquartiers der Muslimbrüder ist aus Gründen der Profilierung nur zweite Wahl, Katar wird eh schon zu viel Einfluß in der Region vorgeworfen, und die Türkei kommt nicht in Frage, weil es deren Rauswurf aus der NATO bedeuten würde. Bis dahin wird laviert. Von einer "Kraft der Veränderung" kann keine Rede sein, jedenfalls nicht hin zum Positiven.

Die Position des Khaled Mashaal ist nicht geschwächt des iranischen und syrischen Rückziehers wegen, und wenn er sich "neu erfindet", dann höchstens, um nicht den Anschluß an die Militärführung der Hamas zu verlieren. Die fehlende iranische und syrische Finanzierung wird von Katar aus der Portokasse ersetzt. Solange die Machtfrage nicht geklärt ist, hängt man sich nicht aus dem Fenster, sonst hängt man.

Was die Politik des Khaled Mashaal angeht, könnte es wohl kaum eine größere Fehleinschätzung geben als die des Dr. Michael Bröning. Das ist nicht verwunderlich, denn er spricht auch von "Grenzen von 1967", obgleich es solche Grenzen niemals gegeben hat. Das Angebot an Mahmud Abbas zu einem einjährigen Mandat zu Verhandlungen mit Israel ist ohne jede Bedeutung. Der Mann könnte bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag verhandeln, und es würde nichts an den Zielen der Hamas, der Fatah, des PIJ, der palästinensischen und anderen Araber ändern. Wieso die Aktivitäten des Khaled Mashaal, gar die Fusion der Hamas mit "etablierten palästinensischen Organisationen" (Fatah?) die Akzeptanz der Hamas für eine Zweistaatenlösung bedeuten würde, müßte erklärt werden. Ist hier die Strategie des Phased Plan, vom 9. Juni 1974, gemeint?

Dr. Michael Bröning macht zahlreiche Vorschläge, was aus Khaled Mashaal wohl demnächst wird. Was immer davon wahr werden sollte, der Westen wird im Gegensatz zur Ansicht des FES-Direktors den Kurs der Hamas nicht beeinflussen können. Ein Scheitern der "umfassenden Ablehnung" kann nur jemand sehen, der die Illusion hegt, mit Gesprächen und Verhandlungen, welcher Art auch immer, könnten die Ziele der Hamas geändert werden. Wenn man allerdings meint, in den arabischen Staaten gäbe es an den tatsächlichen Schaltstellen der Macht "gemäßigte Islamisten", also solche Muslime, die ernsthaft einen Ausgleich mit Israel und dem Westen befürworten, dann kann man schon ins Schwärmen kommen über all die Möglichkeiten.

Es gibt keine gemäßigten Kräfte der Hamas, sondern nur solche Terrorführer, die auf Grund ihrer persönlichen Lage zum Taktieren gezwungen sind. Jedwede Übergangsregierung aus Technokraten würde das Ende der Hamas, der Fatah und aller am Status quo verdienenden Funktionäre bedeuten. Das hat schon Yasser Arafat (pbuh) erkannt: Wo das Geld in den Aufbau von Regierungsstrukturen fließt, kann es nicht auf die Schweizer Konten geschaufelt werden. Es gibt keinen "neuen Nahen Osten" im Sinne einer Demokratisierung, sondern einer islamischen Radikalisierung. Die Hardliner in Gaza sind in der neuen Struktur der arabischen Welt Durchschnitt. Wenn sich einer von ihnen profilieren will, dann kann er es nur durch noch mehr Gegnerschaft zu Israel und zum Westen. Potentielle Verbündete des Westens findet man im Iran. Dort wäre anzusetzen, bei der Stärkung der Opposition im Iran, aber nicht beim Einlenken gegenüber der Hamas.