9. Juli 2013

Frankreich. Le Figaro und die Lösung der ägyptischen Frage


Am 9. Juli 2013 sind im Figaro keine islamistes modérés zu bewundern, die haben das Weite gesucht oder befinden sich hinter Stacheldraht. Dafür weiß Renaud Girard Tips und Tricks, wie Ägypten wieder flott gemacht werden könnte. Nein, der Islam ist nicht die Lösung, meint er. Non, l'islam n'est pas la solution. So schließt er gleich in der Überschrift aus, was keinen Erfolg verspricht, den Islam.

Der Journalist des Figaro weilt gegenwärtig am Ort des Geschehens, und wie jeder weiß, sind nur zwei Sorten von Experten wirklich satisfaktionsfähig, diejenigen, die dort geboren sind und/oder diejenigen, die sich dort zufällig oder entsandt aufhalten, also Renaud Girard.

Die Freedom and Justice Party (FJP) der politische Arm der Muslimbruderschaft, weiß selbst, daß ihr alter Leitspruch bei der herrschenden politischen Gemengelage nicht zielführend ist; sie hat diesen seit vielen Jahrzehnten als Banner vor sich her getragen, ihn aber zugunsten eines anderen aufgegeben. Sie berichtet darüber auf der Website der Muslimbrüder, am 20. Mai 2011: FJP Abandons the Motto 'Islam Is the Solution'. Auch der Korrespondent des Figaro schließt sich dem an.

Die Muslimbrüder treten zunächst an unter dem Slogan Freedom is the Solution and Justice is the Application. Freiheit ist die Lösung, und Gerechtigkeit ist die Anwendung. Google bietet 280 000 Ergebnisse für den Spruch.

Der Trick beim Wechsel des Leitspruchs ist, daß durch den Begriff Justice, Gerechtigkeit, der alte Leitspruch wieder da ist; denn Gerechtigkeit gibt es nur im Islam. Es ist nicht die Gerechtigkeit im westlichen Sinne gemeint, eine Gleichwertigkeit von Muslimen und anderen besteht im Islam nicht, sondern die Muslime sind den Nichtgläubigen von Allah übergeordnet. Zahlreiche Koransuren belegen, was im Islam unter Gerechtigkeit verstanden wird. Wenn es um das Aufeinandertreffen oder Zusammenleben von Gläubigen und Nichtgläubigen geht, ist immer die Verfügung der herrschenden Muslime über beherrschte Dhimmis gemeint. (Koransuren 4:58, 4:105, 5:42, 60:8 u.a.) Die islamische Gerechtigkeit wird mit dem Schwert verbreitet:

Wahrlich, wir entsandten unsre Gesandten mit den deutlichen Beweisen und sandten mit ihnen das Buch und die Waage herab, auf daß die Menschen Gerechtigkeit übten. Und wir sandten das Eisen herab, in welchem starke Kraft und Nutzen für die Menschen ist, und auf daß Allah wüßte, wer ihm und seinen Gesandten im Verborgenen hülfe. Siehe, Allah ist stark und mächtig. (Koransure 57:25)

In den Versen 26 und 27 liest der Gläubige, wer von der Gerechtigkeit ereilt wird, nämlich die frevelnden Nachkommen Abrahams, die Juden, sowie Christen, die nicht zum Islam konvertieren wollen. Gnade wird ihnen nicht zuteil:

26. Und wahrlich, wir entsandten Noah und Abraham und gaben seiner Nachkommenschaft das Prophetentum und die Schrift; und einige von ihnen waren geleitet, viele von ihnen waren jedoch Frevler.

27. Alsdann ließen wir unsre Gesandten ihren Spuren folgen; und wir ließen Jesus, den Sohn der Maria, folgen und gaben ihm das Evangelium und legten in die Herzen derer, die ihm folgten, Güte und Barmherzigkeit. Das Mönchtum jedoch erfanden sie selber; wir schrieben ihnen nur vor, nach Allahs Wohlgefallen zu trachten, und das nahmen sie nicht in acht, wie es in acht genommen zu werden verdiente. Den Gläubigen unter ihnen aber gaben wir ihren Lohn, wiewohl viele von ihnen Frevler waren.

Siehe, wir haben zu dir das Buch mit der Wahrheit hinabgesandt, damit du zwischen den Menschen richtest, wie dir Allah Einsicht gegeben. Sei den Verrätern kein Anwalt. (Koransure 4:105)

Dieser Leitspruch von der Gerechtigkeit ist bei der Kenntnis des Koran in Ägypten für eine Mehrheitsbildung ebenfalls nicht zielführend, also muß ein neuer her, und so verkündet Dr. Ahmed Abdel-Ati, Koordinator des Präsidentschaftswahlkampfs zur Unterstützung von Dr. Mohamed Morsi, in einer Klarstellung, vom 23. April 2012, daß der offizielle Leitspruch der Kampagne laute ‘Renaissance, the Will of the People’, Wiedererwachen, der Wille des Volkes, und daß die vom Kandidaten veröffentlichte Plattform das ‘Renaissance Program’ sei. "Er versicherte, daß Berichte über den Einsatz des Leitspruchs 'Islam is the solution' völlig unbegründet seien. 

Auf der ersten Pressekonferenz am Samstag [21. April 2012] wird der Präsidentschaftswahlkampf für Dr. Mohamed Morsi eröffnet, und der Koordinator der Wahlkampagne erklärt: "Als wir den Leitspruch aufbrachten 'Islam ist die Lösung', pflegten einige zu sagen, das wäre nur ein allgemeiner Leitspruch ohne praktisches Aktionsprogramm. Aber heute stellen wir das Programm des Wiedererwachens als die praktische Anwendung des Leispruchs vor, den wir vorher aufgestellt haben."

Renaud Girard hat anscheinend diese Entwicklungen des Leitspruchs in seinem Redaktionssessel in Paris nicht mitbekommen. Er berichtet am 9. Juli 2013, daß "L'islam est la solution!" seit dreißig Jahren der Leitspruch der MB sei. Damit hätten sie aus der Entkolonialisierung entstandene nationalistische, sozialistische und laizistische Regime erfolgreich bekämpft, avec succès. Das wäre auch gar nicht sehr schwer gewesen, weil diese Regime gescheitert wären. 

Es ist eine eigenartige Geschichtsstunde, die frau vom Korrespondenten erhält. Gamal Abdel Nasser ist am 28. September 1970 an Herzversagen gestorben. Die MB haben ab 1954 unter seiner Herrschaft keine Chance mehr. Im September 1981 ermorden vier MB Enver as-Sadat seines Friedensschlusses mit Israel wegen. Dieser Vertrag ist unislamisch, weil keine Hudna. Muslime dürfen mit Ungläubigen keine verbindlichen Verträge abschließen, sondern nur zeitlich begrenzte. Osmanisch-türkisch heißen sie Fremdenprivilegien, Kapitülasyonlar, abgeschlossen mit nicht gleichberechtigten Partnern aus dem dar al-harb, dem Haus des Krieges. Diese kapitulieren vor dem Sultan, und ein solcher Vertrag ist spätestens bei dessen Tod nichtig. François I Roy de France genießt solche Fremdenprivilegien von Sultan Suleiman Kanuni, dem Prächtigen.

In Ägypten werden nicht die MB, sondern es wird Hosni Mubarak der Nachfolger von Enver as-Sadat. Im ägyptischen Parlament sind sie nicht als MB, sondern als Unabhängige präsent. Die Revolution in Ägypten, der "arabische Frühling", ist nicht von den MB ausgegangen, wie man sich vielleicht noch erinnert. Sie sind neben dem Militär die zweite organisierte Kraft im Lande und nutzen die Chance. 

Das Lösungsmittel des Renaud Girard für die Fragen und Probleme Ägyptens sieht so aus: 

Le monde musulman ne connaîtra de développement politique et économique harmonieux que lorsqu'il aura renoncé à l'illusion du "gouvernement de Dieu" et qu'il aura enfin renvoyé l'islam à la spère privée. Die islamische Welt wird keine harmonische politische und wirtschaftliche Entwicklung kennen, bevor sie nicht abgelassen hat von der Illusion der "Herrschaft Gottes" [Allahs, müßte es heißen], und bevor sie nicht den Islam in die Privatsphäre entlassen hat.

Das heißt zu deutsch, daß er die Ägypter und die Bevölkerung der anderen islamischen Staaten auffordert, den Islam abzuschaffen; denn einen Islam in der Privatsphäre gibt es nicht. Der Islam ist eine totalitäre Politideologie, ausgerichtet auf die Vernichtung anderer Regierungsformen, von der Reglementierung der ihm Unterworfenen her unerbittlicher als Nationalsozialismus und Kommunismus zusammengenommen. Letztere haben Freiräume gelassen, der Islam herrscht, oder er ist nicht. Das zumindest müßte der Korrespondent in seinem Heimatland Frankreich mitbekommen haben, Beispiele dafür stehen täglich in seiner Zeitung.